Die Übermittlung eines kriminalprognostischen Gutachtens durch die Strafvollstreckungskammer an die Justizvollzugsanstalt verletzt grundsätzlich nicht das Grundrecht des Strafgefangenen auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 33 VvB).
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 31.05.2013, 174/10
Auszug aus dem Beschluss:
Die Übermittlung des Prognosegutachtens von der Strafvollstreckungskammer an die Justizvollzugsanstalt greift in das Grundrecht auf Schutz persönlicher Daten ein. Art.33 VvB gewährleistet - in Übereinstimmung mit dem im Grundgesetz gewährleisteten Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art.1 Abs.1 und Art.2 Abs.1 GG - Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe von auf die eigene Person bezogenen individualisierten oder individualisierbaren Daten (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2009 - VerfGH 132/08, 132 A/08 - Rn. 14 m.w.N.; st. Rspr.). Das Grundrecht kann gemäß Art.33 S.2 und 3 VvB durch Gesetz im überwiegenden Allgemeininteresse und unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden (vgl. Beschluss vom 10. Februar 2009 - VerfGH 132/08, 132 A/08 - Rn. 14 m.w.N.). Aus der gesetzlichen Grundlage müssen sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben, damit diese dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. Beschluss vom 13. Dezember 2005 - VerfGH 113/05 - NJW 2006, 1416, 1417 m.w.N.; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 120, 378, 407 f).
Diese grundrechtlichen Anforderungen hat das Kammergericht seiner Entscheidung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zugrunde gelegt. Es hat sowohl den Eingriffscharakter der Übermittlung als auch die Erforderlichkeit einer normenklaren Rechtsgrundlage ausdrücklich bejaht. Die Einschätzung, dass § 179 Abs.2 S.2 des Strafvollzugsgesetzes - StVollzG - i.V.m. § 4 Abs.2 S.2 Nr.2a und 2b des Bundesdatenschutzgesetzes - BDSG - solche Ermächtigungsnormen darstellen, ist vertretbar. Nach § 179 Abs.2 S.2 StVollzG gelten für die Erhebung von Daten ohne Mitwirkung des Betroffenen die zitierten Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes entsprechend. Danach dürfen Daten ohne Mitwirkung des Betroffenen nur erhoben werden, wenn die zu erfüllende Verwaltungsaufgabe ihrer Art nach oder der Geschäftszweck eine Erhebung bei anderen Personen oder Stellen erforderlich macht (§ 4 Abs.2 S.2 Nr.2a BDSG) oder die Erhebung beim Betroffenen einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde (§ 4 Abs.2 S.2 Nr.2b BDSG) und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden. Dass diese Vorschriften datenschutzrechtliche Generalklauseln enthalten, die sich nicht ausdrücklich auf kriminalprognostische Gutachten beziehen, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Das Gebot der Normenklarheit schließt die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht aus (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 118, 168, 188). Durch Auslegung nach den Regeln der juristischen Methodik müssen sich die betreffenden Normen allerdings hinreichend konkretisieren lassen, so dass die Vorhersehbarkeit und Justitiabilität des Handelns der ermächtigten staatlichen Stellen gewährleistet sind (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 110, 33, 56 f; 118, 168, 188 m.w.N.). Dies ist hier der Fall.
Das Kammergericht hat sich mit dem Regelungsgefüge der §§ 179 ff StVollzG insgesamt und den Voraussetzungen der einzelnen Ermächtigungsnormen eingehend und mit verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Erwägungen auseinandergesetzt. Es hat die für die Datenübermittlung relevanten Aufgaben des Justizvollzugs und die sich aus den gesetzlichen Vorschriften (§ 179 Abs.1 und § 180 Abs.1 StVollzG) ergebenden Verwendungszwecke bestimmt. Der Entscheidung liegt die vertretbare Annahme zugrunde, dass Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten nach den zugrunde liegenden Vorschriften dem Vollzug der Freiheitsstrafe dienen müssen und damit hinreichend eingegrenzt sind. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem inzwischen in Kraft getretenen und das Strafvollzugsgesetz insofern verdrängenden Justizvollzugsdatenschutzgesetz Berlin - JVollzDSG Bln -. Soweit in § 15 Abs.1 S.2 JVollzDSG Bln nunmehr eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die Erhebung gutachterlicher Stellungnahmen durch den Justizvollzug aus den zugrunde liegenden Gerichtsverfahren enthalten ist, ergibt sich daraus nicht im Umkehrschluss, dass die frühere Rechtslage aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht hinreichend bestimmt war.
Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist weiterhin die Prüfung der Zweckbindung im vorliegenden Fall. Das Kammergericht ist mit vertretbaren Argumenten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Kenntnis des Gutachtens für den Vollzug der Freiheitsstrafe und insbesondere für im Rahmen des Vollzugs zu treffende Entscheidungen erforderlich war. Überdies ist es zu Recht davon ausgegangen, dass eine erneute Begutachtung durch den Justizvollzug mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden gewesen wäre. Schließlich hat es in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Beschwerdeführers beeinträchtigt werden. Eine Verkennung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.
Auch die Prüfung einer besonderen Schutzwürdigkeit der übermittelten Daten begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Kammergericht hat mit vertretbaren Erwägungen eine besondere Schutzwürdigkeit wegen der Auswertung von Krankenakten sowie eine Anwendung der den Schutz besonderer Daten regelnden Vorschrift des § 182 StVollzG abgelehnt. Für eine Missachtung des Schutzes des Kernbereichs des Persönlichkeitsrechts fehlt es bereits an einer konkreten Darlegung gegebenenfalls betroffener kernbereichsrelevanter Daten (vgl. zu den entsprechenden Anforderungen im Bundesrecht: BVerfG,
Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10 - juris 2 BvR 2500/09, Rn. 98 ff). Insoweit kann offen bleiben, ob Angaben in einem mit Kenntnis und unter Mitwirkung des Betroffenen erstellten psychologischen Gutachten in den verfassungsrechtlich besonders geschützten Kernbereich privater Lebensgestaltung fallen können.